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Früher, da war es einfach. Bei Sonnenaufgang begann die Arbeit, bei Sonnenuntergang war das Tagwerk beendet. Tages- und Jahreszeiten ordneten das Leben. Die Moderne brach diesen Rhythmus auf. Der Sendeschluss in Radio und Fernsehen ist aufgehoben. Elektrisches Licht verlängert den Tag in die Nacht. Ein gelbes M hat sich vor die Sonne geschoben. Am Tag erhebt es sich hoch über die Wipfel der Bäume, in der Nacht leuchtet es weithin. Essen und Arbeit haben keine festen Zeiten mehr. Dazu kommt der Zwang zur Einzigartigkeit und Originalität. Die Wiederholung gilt als Makel. Doch was bleibt zu tun, wenn alles - auch in der Kunst - schon getan ist? Man akzeptiert, dass alles, was man tut, immer eine Wiederholung ist.
Das gelbe M, das Markenzeichen eines weltweit agierenden Fastfoodkonzerns, huldigt dem Prinzip der Wiederholung. Das unter diesem Namen verkaufte Essen hat überall auf der Welt dieselbe Gestalt. Alwin Alles zerteilt die Form und wiederholt sie, zum Ornament gefügt, in seinen Aquarellen. Das ehemals Gleichförmige erhält daraufhin von Tag zu Tag seit 18 Jahren eine andere Gestalt. Die Wiederholung dieses Vorgangs gibt dem Leben durch die Kunst eine Ordnung. Sie allein schafft Dauer und gibt dem Leben eine Form. Sie regelt den Tages- und den Jahreslauf. Jedes fertige Blatt zeigt an, "dass dieser Tag vorüber ist," sagt Alwin Alles. Ein neuer Tag beginnt. Er wiederholt das Tagwerk des vorherigen und füllt damit die Zeit aus. Das Leben beweist sich in einem Moment der Besinnung auf das eigene Tun, herausgerissen aus der Hast des Alltags. Die Herrschaft der Zeit scheint in einem Paradox aufgehoben, indem einer sich ihr unterordnet und zugleich dagegen stemmt. Nur die Wiederholung versichert die Existenz und gibt diesem Symbol der Unrast einen ungeahnten Nährwert.
"Wer aber nicht begreift, dass das Leben eine Wiederholung ist, und dass dies des Lebens Schönheit ist, der hat sich selbst gerichtet und verdient nichts Besseres, als dass er umkommt, was ihm denn auch widerfahren wird; (…) die Wiederholung aber ist das tägliche Brot, welches satt macht und dabei segnet." Sören Kierkegaard, "Die Wiederholung"
SABINE GRAF
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